Einführung in das Wiggle Matching

oder

Wieso kann man „Wiggle Matching“ verwenden,

wenn man keine Jahrringabstände kennt?

 

Peter Stadler, Wien

 

Um auf diese Frage eingehen zu können, müssen wir uns zunächst mit dem „wiggle matching“ beschäftigen, in dem Jahrringabstände verwendet werden.

 

Dem Dendrochronologen sehr geläufig und dennoch umstritten  ist das „wiggle matching“, bei dem man 14C-Proben Proben aus einer so genannten „floating chronology“ in wohl definierten Jahrringabständen nimmt. Für viele Dendrochronologien, die ihre Einbindung an die heutige Zeit noch nicht gefunden haben, ist das die einzige Möglichkeit zu einer Absolutchronologie zu gelangen. Umstritten ist das Verfahren, da man ja 14C-Daten mit einer 14C-datierten Dendrokurve kalibriert, um eine Dendrokurve einzubinden.. Dabei beißt sich die Katze sozusagen in den eigenen Schwanz. Denn die gegenseitige Abhängigkeit von Dendrochronologie und 14C tritt hier ganz klar in den Vordergrund.

 

Für die „floating dendrochronology“ lässt sich nun direkt kein Beweis führen, zu groß ist die Abhängigkeit von 14C-Datierung und Kalibrationskurve.

 

Andererseits kann man aus Analogiegründen eine bis in die Jetztzeit laufende Dendrochronologie testen. Unter anderem wurde so eine Untersuchung für die 7000 Jahre vor heute zurückreichende Zirbenchronologie von Kurt Nicolussi in Zusammenarbeit mit Walter Kutschera et al. durchgeführt. Zu dem Zweck wurde ein 200 (?) jähriger Abschnitt aus dem dritten Jahrtausend vor Christus aus der Zirben-Dendrokurve alle 10 Jahre beprobt und mittels AMS 14C datiert. Die dabei zur normalen Kalibrationskurve festgestellten Abweichungen erwiesen sich als minimal und können aufgrund der Tatsache, dass die Eichen der 14C-Kalibrationskurve auf Meereshöhe und die Zirben an der Waldgrenze wachsen,  auf die unterschiedlichen Hauptwachstumszeiten dieser Bäume und die saisonale Schwankung der 14C-Produktion zurückgeführt werden.

 

Nun zu einem Beispiel, bei dem man versucht Eichenbretter aus einem awarenzeitlichen Brunnen, die von Otto Cichocki dendrodatiert wurden, mittels 14C und „wiggle matching“ zu überprüfen.

 

Für das  Programm Oxcal kann man einen Job schreiben, der folgendermaßen aussieht.

 

D_SEQ "Brunn, Awarischer Brunnen 823, Bretter 12 u.13,WM" 

{

 DATE "VERA 262 :541 bis 551=546,0"    1485    35;  GAP 50;

 DATE "VERA 263 :591 bis 601=596,0"    1410    35;  GAP  5;

 DATE "VERA 265 :593 bis 608=600,5"    1485    40;  GAP 33;

 DATE "VERA 266 :623 bis 643=633,0"    1425    35;  GAP 23;

 DATE "VERA 267 :650 bis 663=656,5"    1350    35;  GAP  4;

 DATE "VERA 264 :651 bis 671=661,0"    1275    35;

};

 

Die Zahlen nach der Labornummer sind der erste und der letzte Jahrring der Probe, danach steht der Mittelwert. Diese Werte stehen zusammen mit der Labornummer im Kommentar und werden für die weiteren Auswertungen nicht verwendet. Danach folgen die 14C-Messergebnisse in years BP und der 1-Sigma Fehler des Messergebnisses, dann folgt der Jahrringabstand der Probenmittelwerte. Sie ergeben sich als Abstand des Mittelwertes in der gleichen Zeile zu dem in der nächsten Zeile. Vom Programm Oxcal aus sind nur ganze Zahlen möglich, obwohl auch halbe Jahre bei den Mittelwerten auftreten können.

 

Das Kalibrationsergebnis dieses Job sieht man in der folgenden Abbildung.

 

 

Hier folgt das „wiggle matching“. Dazu gibt es in oberer Abbildung den Korrelationskoeffizienten A=91,4%, der größer sein müsste als 28,9% um ein signifikantes Ergebnis zu liefern. Das ist bei weitem erfüllt.

 

 

In diesem Fall versucht das Programm optimale Lösungen für die schwarzen Flächen innerhalb der weißen Flächen der Gesamtkalibration so auszuwählen, dass folgende Randbedingungen erfüllt sind: Die Jahrringabstände der Proben. Die Proben VERA-263 und VERA-265 liegen im Mittel nur 5 Jahre auseinander, deshalb wird für beide eine ziemlich gleiche Lösung ausgewählt. Probe VERA-262 ist jedoch 50 Jahre älter als VERA-263, somit wird auch eine ca. 50 Jahre ältere Lösung ausgewählt.

 

Für alle Proben wird eine Lösung erhalten, die zumindest mehr als 60,3% mit der einfachen Kalibration  übereinstimmt. Dabei werden auch Werte bis zu 142% erhalten. 100% erhält man, wenn die schwarze Fläche gleich der weißen ist. Werte über 100 % können erhalten werden, wenn die schwarze Fläche mit der weißen Fläche nur in ihrem höchstem Teil überlappt. Proben, die weniger als 60% „Agreement Index“ haben, müssen in ihrem Jahrringabstand in Frage gestellt werden. D. h man kann so auch Fehler in der Dendrochronologie, also Fehler bei der Überlappung der Bretter erkennen, was in unserem Beispiel jedoch nicht der Fall ist.

 

Nun zur Datierung der jüngsten Probe:

 

 

 

 

Der Bereich der schwarzen Fläche auf dem 1-Sigma Niveau reicht von 669-687 AD. Damit liegt der zu erwartende Mittelwert für die dendrochronologische Altersbestimmung von 661 AD um mindestens 8 Jahre außerhalb dieses Intervalls. Nimmt man das 2-Sigma Niveau, dann ist sie immerhin noch um mindestens 4 Jahre daneben.

 

An und für sich könnte man mit so geringen Abweichungen zufrieden sein. Es scheint, dass die „floating dendrochronology” der beiden Bretter von Brunn richtig ist, dass jedoch vielleicht Probleme beim Einpassen in die Deutsche Eichenkurve eine mögliche Ursache der Diskrepanzen sein könnten. Andererseits könnte die nicht berücksichtigte Jahrringverteilung innerhalb der Probe - d.h. die äußeren Jahrringe haben eine höheren Anteil - eine Rolle spielen.

 

Nun wenden wir uns der eigentlichen Fragestellung zu und gehen gleich in medias res mit einem simulierten Beispiel aus unserem SCIEM2000 Projektbereich.

 


 

Simulation der Datierung der Aschenschichte der Santorineruption im Pollenprofil von Gölhisar Gölü mit 14C und „wiggle matching“

 

 

Die Publikation[1] gibt in unmittelbarem Bereich der Schicht mit der Thera-Eruptions-Asche ein 14C Datum von 3330 ± 70 BP an, dort kalibriert mit ~ 1600 BC. Die folgende Abbildung zeigt das Kalibrationsergebnis. Tatsächlich erhält man auf dem 1-Sigma-Niveau ein Intervall von 1690-1520. D.h. sowohl die naturwissenschaftliche als auch die historische Datierung wären danach also möglich.

 

Simulationen bieten sich immer dann an, wenn noch keine oder nicht ausreichend Messungen gemacht wurden und wenn man ermitteln will, welche die optimale Probenkonstellation sein könnte.

 

Vorausschickend soll gleich angemerkt werden, dass das hier angewandte Verfahren zwar mit dem „wiggle matching“ verwandt ist, jedoch im allgemeinen in der Fachliteratur mit anderen Namen wie „Sequencing“ etc bedacht ist.

 

Mit Oxcal wurden mehrere Simulationen durchgeführt, um die kostengünstigste Variante unter möglichster Optimierung der Genauigkeit des Ergebnisses zu ermitteln.

 

Dabei zeigt sich eine Zahl von 11 Proben als ausreichend. 5 Proben oberhalb der Schicht, 5 Proben unterhalb und eine in der Schicht sollten möglichst im Abstand von ca. 10 Jahren von einander ausgewählt werden. Damit wäre der Abstand zwischen oberster und unterster Probe mit ca. 100  Jahren zu veranschlagen. Das bedeutet im Profil GHA ca 8-10 cm. D.h. ca alle 1 cm beginnend 5 cm unterhalb der Aschenschicht bis 5 cm oberhalb sollten die Proben gezogen werden. Die Sedimentationsrate kann als ziemlich gleichmäßig angesehen werden, in 10000 Jahren BP wurden etwa 800 cm Sedimentation erreicht,  also ca. 12,5 Jahre/cm.

 

Die Proben müssten dann mittels Hochpräzisions-AMS (Sigma ca. 20a) gemessen werden, was bei VERA möglich wäre, da ja auch die Zirbenholzkalibrationskurve nach diesem Prinzip bestimmt wurde.

 

Die Ergebnisse dieser Simulation sehen folgendermaßen aus. Die Tests wurden zunächst unter der Voraussetzung der Richtigkeit des naturwissenschaftlichen Datierungsansatzes der Thera-Eruption gemacht.

 


 

Zunächst das Job-File, mit dem in Oxcal diese Auswertungen vorgenommen werden können:

 

Sequence "Example with Thera eruption at 1640"
{
    Boundary;
    Sequence
    {
    R_Simulate "s01 -1690 20" -1690 20;
    R_Simulate "s02 -1680 20" -1680 20;   
    R_Simulate "s03 -1670 20" -1670 20;
    R_Simulate "s04 -1660 20" -1660 20;
    R_Simulate "s05 -1650 20" -1650 20;
    !Santorin Ausbruch
    R_Simulate "s06 -1640 20" -1640 20;
    !Santorin Ausbruch
    R_Simulate "s07 -1630 20" -1630 20;
    R_Simulate "s08 -1620 20" -1620 20;
    R_Simulate "s09 -1610 20" -1610 20;
    R_Simulate "s10 -1600 20" -1600 20;
    R_Simulate "s11 -1590 20" -1590 20;
    };
    Boundary;

    Span "span seq";
};

 

Die Prozedur R_Simulate produziert dabei simulierte 14C-Messergebnisse, die nach ihrer Verteilung rund um den Mittelwert bei vorgegebenem Messfehler tatsächlich realen 14C-Datierungen sehr nahe kommen. Dazu kommt, dass bedingt durch ein jeweils unterschiedliches „seed“ für den Zufallszahlengenerator bei jeder weiteren Berechnung unterschiedliche Resultate erhalten werden, was der Realität entspricht, denn auch bei jeder neuen Messung werden unterschiedliche Resultate erhalten, allerdings genauso definiert durch den wahren Mittelwert und den Messfehler.

 


 

Zunächst die kalibrierten Werte:

 


 

Dann das wiggle matching:

Die Einzelprobe aus dieser Serie, die am nächsten bei der Eruption liegt (1640 BC) würde folgendermaßen kalibriert werden:  auf dem 1 Sigma Niveau von 1730-1620 BC.

 

 

Das Sequencing oder wiggle matching dieser Probe liefert folgendes Ergebnis, die Einzelprobe aus dieser Serie, die am nächsten bei der Eruption liegt (1640 BC) würde durch das wiggle matching folgendermaßen datiert:

 

 

 

D. h. die schwarze – mit „wiggle matching“ ermittelte- Fläche ergibt ein Intervall auf dem 1-Sigma-Niveau von 1641-1621, der „wahre“ Wert von 1640 liegt gerade innerhalb.

 

Warum funktioniert dieses Verfahren nun, obwohl hier keine Jahrringabstände eingehen? Denn die zehn Jahre Abstand, die zwischen den hypothetischen Proben eingehalten werden, werden bei diesem Verfahren (Sequence) nicht benutzt. Was benutzt wird, ist lediglich die Reihenfolge der Proben. Programm Oxcal mit seinem Gibbs sampler optimiert nun die schwarzen Flächen unter den weißen Flächen unter Einhaltung der Randbedingungen, die da lauten: Alle Proben befinden sich in einer Sequenz, d.h. wenn man das Alter der Proben mit a[1] bis a[i] bezeichnet, gilt a[1]>= a[2] oder allgemein formuliert a[i]>=a[i+1]. Nun spielt hier bei der Optimierung natürlich die Lage der „wiggles“ in der Kalibrationskurve eine Rolle.

 

Nehmen wir die Probe genau um 1640 BC. Bei ihr ist die schwarze Fläche genau über dem letzten oder jüngsten höheren „wiggle“ der Einzelkalibration oder der weißen Fläche. Ein späteres „wiggle“ würde einen „Agreement Index“ unter 60% haben und damit die Sequenz in Frage stellen. Damit ist die schwarze Fläche sozusagen schon am spätestmöglichen wiggle angeordnet. Die nachfolgenden Proben haben in der einfachen Kalibration (weiße Fläche) weitere wiggles, die nun sukzessive für die weiteren schwarzen Flächen herangezogen werden können.

 

Nochmals zum Resultat des „wiggle matching“ bei der zuletzt besprochenen Probe:

  

Das Datierungsintervall kann durch das „wiggle matching“ im 1-Sigmabereich von 1730-1620 auf 1658-1615 reduziert werden. Diese Genauigkeit kann bei anderen Konstellationen (mehr Proben, längerer Zeitraum etc) kaum mehr unterboten werden. Für die Fragestellung, welche der beiden Chronologien die richtige ist, sollte sie jedoch bei weitem ausreichend sein.

 

Sollte die historische Datierung richtig sein, so würde das ganz analog funktionieren. Das soll im weiteren gezeigt werden, mit einer angenommenen Datierung der Eruption um 1520. (Bei anderen Annahmen wäre das ebenfalls analog durchzuführen) Dazu wieder das entsprechende Job-File:

 

Sequence "Example with Thera eruption at 1520"

{

 Boundary;

 Sequence

 {

  R_Simulate "s01 -1570 20" -1570 20;

  R_Simulate "s02 -1560 20" -1560 20;

  R_Simulate "s03 -1550 20" -1550 20;

  R_Simulate "s04 -1540 20" -1540 20;

  R_Simulate "s05 -1530 20" -1530 20;

  ! Santorin Ausbruch

  R_Simulate "s06 -1520 20" -1520 20;

  ! Santorin Ausbruch

  R_Simulate "s07 -1510 20" -1510 20;

  R_Simulate "s08 -1500 20" -1500 20;

  R_Simulate "s09 -1490 20" -1490 20;

  R_Simulate "s10 -1480 20" -1480 20;

  R_Simulate "s11 -1470 20" -1470 20;

  };

 Boundary;

 Span "span seq";

};

 

 

 Zunächst die kalibrierten Werte:

 

 

 


 

Dann das wiggle matching:

 

 


 

Die Einzelprobe aus dieser Serie, die am nächsten bei der Eruption liegt (1520 BC, nach der Ägyptischen Chronologie) ergibt bei der Einzelkalibration auf dem 1-Sigma-Niveau folgendes Intervall: 1525-1455 BC.

 

Dieses Intervall würde durch das wiggle matching weiter reduziert werden, und zwar auf 1524-1508 BC. Damit liegt der (erwartete) Wert von 1520 sowohl innerhalb des 2-Sigma als auch klarerweise 1-Sigma-Intervalls.

 

Ich hoffe damit gezeigt zu haben, dass ein „wiggle matching“ oder besser gesagt eine „Sequence“ von 14C-Daten so gut durch 14C-Kalibration datiert werden kann, dass dann eigentlich kaum mehr Zweifel an der Datierung verbleiben könnten.

 

Andere Verfahren des "wiggle matching" werden eingesetzt, um zu einer awarischen Absolutchronologie zu gelangen. 


 

 

 

 


 

[1] Eastwood W.J., Roberts  N., Lamb H. F., Tibby J. C. 1999, Holocene environmental change in southwest Turkey: a palaeoecological record of lake and catchment-related changes. Quarternary Science Reviews 18, 671-695.