Argumente gegen die Phantomzeit-Theorie von Heribert Illig et. Al.

Nach Wikipedia (November 2010), mit Ergänzungen von Peter Stadler

Erfundenes MittelalterBeschreibung: OneRiotBeschreibung: YahooBeschreibung: AmazonBeschreibung: TwitterBeschreibung: del.icio.us

Die Theorie des Erfundenen Mittelalters (auch Phantomzeit-Theorie) besagt, dass etwa 300 Jahre, beginnend mit dem 7. Jahrhundert, erfunden wurden. So soll auf das Jahr 614 das Jahr 911 gefolgt sein. Von Geschichtswissenschaftlern und Mediävisten wird diese Theorie als fehlerhaft betrachtet und zurückgewiesen. In der Öffentlichkeit hat die These ein gewisses Interesse gefunden.

Die in Deutschland verbreitete Version geht auf Heribert Illig zurück. Er vertritt die Ansicht, man könne mit der Entfernung angeblich erfundener Jahre die Chronologie des Mittelalters korrigieren. Hans-Ulrich Niemitz, der sich dieser Theorie anschloss, nannte den Zeitraum dann Phantomzeit, weil das Fränkische Reich nach Chlodwig I. ein Produkt der Fantasie oder der Täuschung gewesen sei. Insbesondere hätten laut dieser Theorie Personen wie Karl der Große und die anderen Karolinger vor Karl III. dem Einfältigen entweder überhaupt nicht existiert, oder sie seien vor 614 beziehungsweise nach 911 einzuordnen.

Inhaltsverzeichnis

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·         1 Grundlagen der Theorie und ihre Widerlegung durch die Fachwissenschaft

o    1.1 Kalenderkunde

o    1.2 Diplomatik

o    1.3 Archäologie

o    1.4 Astronomie

·         2 Siehe auch

·         3 Literatur

·         4 Einzelnachweise

Grundlagen der Theorie und ihre Widerlegung durch die Fachwissenschaft [Bearbeiten]

Die Theorie des erfundenen Mittelalters gehört zum Themenkomplex der Chronologiekritik und betrachtet diesbezüglich besonders die Bereiche KalenderkundeAstronomieDiplomatikArchäologieArchitekturgeschichte und historische Geographie.

Kalenderkunde [Bearbeiten]

Die Theorie hat ihren Ursprung und damit ihre Grundlage in der Kritik des tradierten Kalenders. Heribert Illig nimmt an, dass die bei der Kalenderreform durch Papst Gregor XIII. im Jahr 1582 vorgenommene Berichtigung des julianischen Kalenders von zehn Tagen um drei Tage zu kurz ausgefallen sei. Die Gesamtabweichung seit Einführung des julianischen Kalenders im Jahr 46 v. Chr. hatte sich bis 1582 auf insgesamt 12,48 Tage summiert. Illig leitete aus dieser These die fehlenden drei Jahrhunderte ab, die er in der Ausgabe Zeitensprünge, Heft 3/1993, auf genau 297 Jahre berechnete und den in Frage kommenden Zeitraum auf September 614 bis August 911 eingrenzte.

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Definitionen für das mittlere Sonnenjahr (Tropisches Jahr)

Dagegengehalten wird, dass das Datum der Tag-und-Nacht-Gleiche zur Einführung des julianischen Kalenders nicht überliefert sei und der 21. März als Frühlingsbeginn erst beim ersten Konzil in Nicäa im Jahr 325 n. Chr. für die weiteren Berechnungen des Osterdatums festgelegt worden sei. Bis zur Kalenderreform im Jahre 1582 hatte sich in den vergangenen 1257 Jahren der astronomische Frühlingsbeginn vom 21. März um 9,73 Tage auf den 11. März verschoben,[1] weshalb Papst Gregor XIII. die Kalenderreform im Jahr 1582 in der maßgeblichen päpstlichen Bulle Inter gravissimas verfügte und den 11. März mit der zehntägigen Korrektur auf den 21. März zurückverlegte. Somit widerspreche die Kalenderkorrektur um 10 Tage nicht der bestehenden Jahreszählung.

Diplomatik [Bearbeiten]

Illig geht davon aus, dass Originalurkunden aus dem besagten Zeitraum sehr spärlich seien und von Personen meist nur sehr unspezifisch sprächen. Überdies seien vom 10. Jahrhundert bis in die Zeit von Friedrich II. (Anfang 13. Jh.) zahlreiche Urkunden von Majuskel-Schrift auf Minuskel-Schrift umgestellt, also neu geschrieben worden, wonach man die alten Urkunden vernichtet habe. Eine Verfälschung um rund 300 Jahre sei dabei möglich gewesen.

Nach dem Kenntnisstand der historischen Wissenschaften existieren jedoch für den fraglichen Zeitraum etwa 7.000 Dokumente.[2] Für die monastische Literatur sei das 9. Jahrhundert an Autoren und Manuskripten das reichste des gesamten frühen Mittelalters. Das Abschreiben war für die mittelalterlichen Zeitgenossen die einzige Möglichkeit, Texte zu kopieren. Eine pauschale Verurteilung der Texte des Mittelalters, wie sie bei Illig zu finden ist,[3] ist wissenschaftlich nicht haltbar.

Archäologie [Bearbeiten]

Die dritte Grundlage der These ist die Archäologiekritik und basiert auf der Behauptung, dass es nur wenige archäologische Funde gebe, und dass diese falsch in die Zeit zwischen dem 7. und 10. Jahrhundert n. Chr. datiert seien. Hierzu wurden Beispiele aus Bayern angeführt.[4]

Den geschichtswissenschaftlichen Publikationen kann dagegen entnommen werden, dass zur fraglichen Epoche eine große Zahl von archäologischen Funden vorhanden ist. In zahllosen Museen sind tausende von Objekten aus der Phantomzeit für die Öffentlichkeit zugänglich. Die Schichten zur Karolingerzeit lassen sich (etwa in Paderborn) eindeutig nachweisen. [5]

Astronomie [Bearbeiten]

Die Astronomiekritik gehört nicht zu den Ursprungs- und Kernelementen der Theorie Illigs. Astronomische Untersuchungen widerlegten zwischenzeitlich die Theorie Illigs. Als Argument gegen die Genauigkeit der Forschungsergebnisse führt Illig in seinen Ausführungen an, dass seine Thesen durch astronomische Rückrechnungen „nicht streng widerlegbar seien”, weil diese nach Meinung Illigs für den betreffenden Zeitraum auf zu „unsicheren Quellen” beruhten.

Illig erklärt, dass es zwar Belege in Form astronomischer Beobachtungen gegen seine Theorie gebe, beruft sich aber auf ein aus dem Gesamtzusammenhang gerissenes Zitat des Astronomen Dieter B. Herrmann (wogegen dieser sich verwahrt), das sich nur auf den Bereich der Sonnenfinsternisse bezieht.

Historische astronomische Ereignisse sind zwar im Einzelfall nur schwer eindeutig einem Datum zuzuordnen, die Betrachtung vieler historischer Beobachtungen ergibt aber ein konsistentes Bild. Wie der Astronom Dieter B. Herrmann anführt[6], sind aber die Berichte von Hydatius von Aquae Flaviae (über zwei totale Sonnenfinsternisse, die in Aquae-Flaviae (Portugal) innerhalb eines Abstands von 29,5 Jahren auftraten[7]) durch astronomische Berechnungen sehr genau. Sie sind eindeutig einem Zeitpunkt zuzuordnen und somit nicht mit der These Illigs in Einklang zu bringen.

Dendrochronologie und 14C-Datierungen

Illig meint die Dendrochronologie, vor allem im Zusammenhang mit sogenannten Endlosbäumen, sei so manipuliert worden, dass sie zu unserem „falschen“ Chronologiesystem dazu passt. Durch die manipulierte Dendrochronologie wäre auch die Kalibrationskurve für 14C zu widerlegen.

Dabei vergisst er aber Entscheidendes: Denn die ersten 14C-Kalibrationen wurden mit Hilfe der Bristlecone pine (http://en.wikipedia.org/wiki/Bristlecone_pine) gemacht. Dabei erreichte der damals noch lebende Baum Prometheus mit seinen gezählten 4844 Jahresringen das höchste Alter. Mit Hilfe dieser Jahresringe, die weit über das Phantomzeit-Alter hinausgehen, wurden die ersten 14C-Kalibrationen gemacht. Würde man heute mit modernerer AMS-Methodik hier alle 10 Jahresringe beproben und auf ± 8 Jahre messen, könnte man eine Kalibrationskurve erhalten, die, ohne sich dem Vorwurf der Dendrochronologie-Manipulation aussetzen zu müssen, da ja die Ringe einfach nur abgezählt werden müssen, ganz klar die anderen Dendrochronologien und Kalibrationskurven bestätigen könnte.

Siehe auch [Bearbeiten]

§  Die Offenbarung Johannis – Eine astronomisch-historische Untersuchung“ von Nikolai Alexandrowitsch Morosow

Literatur [Bearbeiten]

§  Heribert IlligDas erfundene Mittelalter. Die größte Zeitfälschung der Geschichte. Ullstein, Berlin 2005, ISBN 3-548-36429-2.

§  Franz Krojer: Die Präzision der Präzession. Illigs mittelalterliche Phantomzeit aus astronomischer Sicht. Differenz-Verlag, München 2003, ISBN 3-00-009853-4 .

§  Ralf Molkenthin: Die Phantomzeit und das Mittelalter - oder: Wie Heribert Illig eine Erfindung erfand. Eine mediävistische Erläuterung. In: Ralf Molkenthin, Bodo Gundelach (Hrsg.): De Ludo Kegelorum. (Über das Kegelspiel. Beiträge zur Ernennung Dieter Schelers zum Honorar-Professor). Skriptorium-Verlag, Morschen 2008, ISBN 978-3-938199-16-9, S. 19–35.

§  Diethard Sawicki: Lügenkaiser Karl der Große? Ein kritischer Blick auf Heribert Illigs These vom erfundenen Mittelalter. In: Tilmann Bendikowski u. a.: Geschichtslügen. Vom Lügen und Fälschen im Umgang mit der Vergangenheit. Westfälisches Dampfboot, Münster 2001, ISBN 3-89691-499-5, S. 75–104.

§  Rudolf SchiefferEin Mittelalter ohne Karl den Großen, oder: Die Antworten sind jetzt einfach. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht (GWU) 48, 1997, 10, ISSN 0016-9056, S. 611–617.

§  Gerard Serrade: Leere Zeiten oder das abstrakte Geschichtsbild. Logos, Berlin 1998, ISBN 3-89722-016-4.

Einzelnachweise [Bearbeiten]

1.     Vgl. Jean Meeus: Astronomical Tables of the Sun, Moon and Planets. Willmann-Bell, Richmond 1995, ISBN 0-943396-45-X, S. 140.: März-Äquinoktium am 10. März 1582, 23:57:54 Dynamischer Zeit, also im Gebiet der heutigen Mitteleuropäischen Zeitzone und östlich davon am 11. März.

2.     Arno BorstDie karolingische Kalenderreform. 1998.

3.     Heribert Illig: Wer hat an der Uhr gedreht? Wie 300 Jahre Mittelalter erfunden wurden. München 2001, S. 234.

4.     Heribert Illig, Gerhard Anwander: Bayern und die Phantomzeit. Archäologie widerlegt Urkunden des frühen Mittelalters; eine systematische Studie. Mantis-Verlag, Gräfelfing 2000, ISBN 3-928852-21-3 (2 Bände).

5.     Amalie Fößel: Karl der Fiktive?. In: Damals, Magazin für Geschichte und Kultur. Nr. 8, 1999, S. 20f.

6.     Dieter Herrmann: Nochmals: Gab es eine Phantomzeit in unserer Geschichte?. In: Beiträge zur Astronomiegeschichte 3. 2000, S. 211–214.

7.     Sonnenfinsternis vom 19. Juli 418 und Sonnenfinsternis vom 23. Dezember 447.