Auswertung der Perlen aus dem Reihengräberfeld von Altenerding in Bayern

von Peter Stadler, Wien

  • Material
  • Methodik
  • Ergebnisse
    1. Material

    Ausgangspunkt für diese Arbeit war die Materialvorlage in der Publikation von Altenerding. Es erwies sich für diese Auswertung als ganz besonders wichtig, die in der Publikation vorhandenen Signaturen für eine farbliche Differenzierung der Perlen zu verwenden.


      Methodik

    Alle hier angewandten Verfahren sind im von mir etwickelten Programmpaket "SERION" enthalten, derzeit Version 7.010 Alpha, das demnächst der Öffentlichkeit als Share-Ware zur Verfügung gestellt werden wird. Die PC-Version von SERION ging aus einer Großrechnerversion hervor, und wurde insgesamt fast neu programmiert. SERION wurde schon mehrfach an anderer Stelle vorgestellt.

      Seriation

    Als Seriationsverfahren wurde das Reciprocal Averaging nach Peter Ihm eingesetzt.

    Dieses gängige Verfahren ersetzt den Algorithmus von Goldmann und Kammerer. Abgesehen davon, daß es mathematisch besser fundiert ist, kommt es - bei verschiedenen Ausgangsordnungen - immer zum selben Resultat. Dieser Algorithmus wurde nicht nur in SERION, sondern auch im Bonner Paket implementiert.

      Kartierungen

    Um die Kartierungen der Typen im Zusammenhang mit dem Gesamtplan darstellen zu können, wurde folgende Vorgangsweise gewählt: Zunächst wurde der Gräberfeldplan komplett in AutoCad 12 digitalisiert. Es wurden die Grabungsgrenzen, ein Nordpfeil, eine Maßleiste sowie die Gräber in unterschiedlichen "Layern" abgelegt. Nach der Eingabe eines jeden Grabumrisses als Polygon wurde die Grabnummer als Text an einer günstigen Position möglichst neben dem Grabumriß plaziert.

    Aus AutoCad wurde sodann ein DXF-File exportiert, das mithilfe eines eigens entwickelten Konverters in ein PostScript-File übersetzt wurde. Für das Polygon eines jeden Grabes wurde dessen Mittelpunkt ermittelt, der im folgenden zum Setzen der Kartierungssymbole verwendet wird. Die so erstellte Kartierungsgrundlage zeigt Abb. 1. Die Gräber sind als schattierte Flächen, die Grabungsgrenzen als strichlierte Linien dargestellt.

    SERION liefert nun ebenfalls ein PostScript-File, in dem die für jede einzelne Kartierung wichtigen Grabnummern, Symbole und Beschriftungen enthalten sind. Im folgenden werden die PosctScript-Files des Gesamtplanes und der einzelnen Kartierungen "übereinandergelegt" und miteinander auf dem Laserdrucker ausgegeben. Die Gräber werden auf dem Gesamtplan als grau schattierte Flächen dargestellt und die Symbole und Grabnummern schwarz oder farbig gedruckt. Dadurch soll die Übersichtlichkeit erhöht werden. Außerdem können derartig erhaltene Files in der Druckerei direkt auf den Satzmaschinen ausgegeben werden.

      Analyse der "N Nächsten Nachbarn" mit einem Typ"

    Es handelt sich um ein in seiner Gesamtheit neu entwickeltes Verfahren, das zuerst schon an anderer Stelle ganz kurz beschrieben worden ist.

    Zunächst werden Verbreitungskarten erstellt und durch statistische Tests auf signifikant nichtzufällige Verteilungsmuster untersucht. Dazu werden wahlweise die hypergeometrische oder die binomiale Verteilung herangezogen. Damit wird ein Erwartungswert errechnet, der angibt, welche Häufigkeit eines Merkmals (oder Typs) innerhalb der "N Nächsten Nachbarn" eines Fundkomplexes zufällig zu erwarten wäre. Dies wird für alle Vertreter eines Typs wiederholt.

    Unter Vorgabe eines Konfidenzintervalles kann dann bestimmt werden, ob die tatsächlich ermittelten Nachbarn mit dem gleichen Merkmal zufällig sein könnten oder nicht, in Abhängigkeit vom Signifikanzniveau, das zur Ermittlung des Konfidenzintervalls notwendig war. Insgesamt waren von 575 Typen bei einer Größe der Umgebung der "N Nächsten Nachbarn" von z.B. 50 und einem Konfidenzniveau von 80% 199 Verbreitungen von 429 signifikant. Finden sich in dieser Umgebung eines Komplexes mit einem bestimmten Typ tatsächlich Vertreter desselben Typs und ist die Verteilung signifikant nichtzufällig, so werden dieser Komplex und die zugehörigen Nachbarn in eine Liste von Beziehungen zwischen den Komplexen aufgenommen, ähnlich wie unterschiedliche Gegenstandstypen in einem geschlossenen Fund bei der herkömmlichen Seriation. Diese Matrix aus Beziehungen und Komplexen wird sodann einer Seriation - dem Reciprocal Averaging - unterzogen. Der erhaltene Eigenvektor der Funde wird mit einer eindimensionalen Clusteranalyse in "natürliche" Gruppen zerlegt. Diese werden sodann auf dem Gesamtplan dargestellt.

      Analyse der "N Nächsten Nachbarn mit zwei Typen"

    In einem weiteren Verfahren können die Verbreitungen unterschiedlicher Typen miteinander verglichen werden. Es können nun signifikant ähnliche Verteilungen erkannt werden. Dazu müssen die Vertreter des zweiten Typs signifikant häufiger als erwartet in der Umgebung der "N Nächsten Nachbarn" des ersten Typs auftreten. Insgesamt müssen T*(T-1)/2, d.h. in diesem Fall 449*(449-1)/2 = 100576 (!), Vergleiche durchgeführt werden.

    Daraus werden wieder Beziehungen zwischen benachbarten Fundkomplexen ermittelt. Der Vorteil dieses Verfahrens liegt darin, daß - wenn eine unterschiedliche Ausstattung von gleichzeitigen Gräbern gegeben ist, wie das bei Männer- und Fraueninventaren im Allgemeinen der Fall ist - dennoch ihre Zusammengehörigkeit erkannt wird, wenn sie tatsächlich nebeneinander im Gräberfeld liegen.

    Sind Doppelbelegungen eines Gräberfeldareals gegeben, kann man manuell oder unter Verwendung des einfachen Seriationsergebnisses diese "scheinbaren" Beziehungen löschen. Dadurch sollte es möglich sein, auch unabhängige Gruppen aus demselben Areal aus verschiedenen Zeiten zu erhalten.

    Um diese Doppelbelegungen automatisch zu trennen, wurde folgende Auswahlbedingung für das Aufstellen von Beziehungen angewandt: Nämlich, daß nur diese Beziehungen von Fundkomplexen für eine weitere Auswertung herangezogen werden dürfen, für die die Beziehung ergebenden Typen mindestens einmal im selben Fundkomplex gemeinsam auftreten.

    Um das Verfahren zu beschleunigen, kann man den ersten Typ einer Vorselektion unterwerfen. D.h. es werden überhaupt nur solche Typen mit anderen verglichen, die für sich selbst in ihrer Verbreitung ebenfalls bereits signifikant sind.

    In der Praxis zeigt sich, wenn die Signifikanz einer Beziehung nur in einer Richtung von einem Typ zum anderen untersucht wird, daß beträchtlich viele unerwünschte Beziehungen mitausgewertet werden. Somit ist es notwendig, die Signifikanz zusätzlich in umgekehrter Richtung zu bestätigen. Die Resultate nenne ich "Signifikant gleiche Kartierungen mit reziproker Kontrolle".

      Toposeriation

    Um die bei Seriationen erhaltenen Abfolgen auf dem Gräberfeldplan darstellen zu können, werden die Eigenvektoren aus dem Reciprocal Averaging einer eindimensionalen Clusteranalyse unterworfen. Die Anzahl der Cluster kann entweder über das maximale Fehlermaß bei der Verschmelzung gesteuert oder - wie hier - direkt mit 50 vorgegeben werden. Diese Cluster werden dann auf dem Gräberfeldplan kartiert.

    Bei vorheriger Analyse der "N Nächsten Nachbarn" - in beiden Varianten - werden die Cluster in ihrer Reihenfolge kartiert, wodurch zusammenhängende Gräbergruppen erhalten werden, die im günstigsten Fall eine Zusammenfassung aller Einzelkartierungen darstellen, sofern diese nicht widersprüchlich sind. Die erhaltene Reihenfolge kann der Gräberfeldbelegung entsprechen oder zumindest bei der Interpretation der Belegung hilfreich sein.

      Dynamische Typologie

    Unser Konzept der dynamischen Typologie wurde an anderer Stelle für Seriationsergebnisse formuliert und bedeutet folgendes: Wenn ein Typ in einem Seriationsergebnis als Durchläufer erscheint, kann das mehrere Ursachen haben, unter anderem könnten hier Typen vermengt oder zu grob gefaßt worden sein. Wenn sich Merkmale eines Typs im älteren signifikant von Merkmalen im jüngeren Bereich unterscheiden, so können durch Aufspaltung zwei neue Typen erhalten werden. Insgesamt führt dieses Verfahren zu einer "Seriationsverbesserung".

    Bei Kartierungen kann man die dynamische Typologie folgendermaßen formulieren: Zeigt die Kartierung eines Typs zwei oder mehrere unabhängige Gruppen und unterscheiden sich die Typenvertreter in diesen Gruppen signifikant - zumindest in einem Merkmal - so ist es gerechtfertigt, hier eine typologische Untergliederung vorzunehmen.

    Somit ist die Heuristik der dynamischen Typologie - nicht nur bei der Seriation, sondern auch bei der Kartierung - ein iterativer Prozeß, der nach einigen Schritten zum Stillstand kommt.

      Ergebnisse

    Da insgesamt die Arbeiten zur Typologie noch nicht abgeschlossen sind, sollen hier vor allem einige signifikante Kartierungen präsentiert werden.

    Um zunächst die Materialfülle zu dokumentieren, sind in Abb. 2 alle Gräber mit Gegenständen kartiert, darüberhinaus wird durch die Größe des Symbols in 5 Stufen die Anzahl der pro Grab enthaltenen Gegenstände dargestellt.

    In Abb. 3 sind die Perlenketten kartiert. Dabei zeigt sich, daß Perlenketten signifikant häufiger in benachbarten Gräbern auftreten. Daraus kann der Schluß gezogen werden, daß offensichtlich Zeitgenossinnen (vielleicht Schwestern) nebeneinander bestattet wurden, was natürlich noch durch die Kartierungen der einzelnen Typen verifiziert werden muß.

      Signifikante Kartierungen aus der Analyse der "N Nächsten Nachbarn" bezüglich eines Typs

    Verbreitung von zwei Perlentypen:

    1. Typ Perle141 (s. Abb. 4): Kugelige Millefioriperle, Grundfarbe rot, weiße Blüten auf blauem Feld. Dieser Typ ist mit 82.7% Wahrscheinlichkeit nicht zufällig verteilt.

    2. Typ Perle193 (s. Abb. 5): Bernsteinperle, kugelig, mittelgroß. Diese Perle kommt in vielen Gruppen des Gräberfeldes vor, aufgrund der großen Zahl und auch der Häufungen in benachbarten Gräbern ist dieser Typ zu 100% Wahrscheinlichkeit signifikant nicht zufällig verteilt.

      Signifikante Kartierungen aus der Analyse der "N Nächsten Nachbarn" bezüglich zweier Typen

    1. Typ Beschl08, ein kurzer schildförmiger Beschlag und Typ Beschl02, ein kurzer, wappenförmiger Beschlag mit Stiel, treten in mehreren, kleinen Gruppen im Gräberfeld auf, wie Abb. 6 zeigt. Mehrmals findet man sie gemeinsam in geschlossenen Fundkomplexen.

    2. In Abb. 7 sind zwei Perlentypen kartiert. Perle052, eine polyedrische Perle mit grünen, rot-weiß-schwarzen Augen und Perle023, eine kleine Melonenperle, weiß bis gelb, treten in 2 Haupt- und mehreren Nebengruppen gemeinsam auf. Dazu kommen noch einige Kombinationen an derselben Kette.

    3. In Abb. 8 ist die Verbreitung von Perle192, aus Bernstein, doppelkonisch, lang, ausschließlich in Frauengräbern, und ein T-förmiger Hakenbeschlag, nur in Männergräbern. Es zeigt sich, daß beide Typen häufig aus benachbarten Männer- und Frauengräbern vorliegen. Mit einiger Wahrscheinlichkeit, können so zusammengehörige Männer- und Frauenbestattungen erkannt werden. Ob es sich dabei einfach um Zeitgenossen oder um "Ehepaare" handelt, kann jedoch nicht entschieden werden.

    Ich hoffe, daß es mir im Rahmen dieses Artikels gelungen ist aufzuzeigen, welche Möglichkeiten in dieser Methode der Analyse der "Nächsten Nachbarn" stecken.