Derzeit sind zwei Programme erhältlich. Die ältere Version
ist als Shareware im Bonner Archaeological Statistics Package BASP
enthalten. Eine Beschreibung des Programmes ist unter folgendem Titel
erschienen:
Imelda HERZOG, Computer
aided Harris Matrix Generation. In: E.C. HARRIS, Practices of Archaeological
Stratigraphy, Academic press 1993, Kap. 13, 201-217.
Die theoretischen Grundlagen zur Harris Matrix sind an
folgender Stelle ausführlich publiziert:
EDWARD C. HARRIS, Principles of Archaeological Stratigraphy, 2nd Edition. Academic Press, London and San Diego 1989.
Zusammenfassung der wesentlichsten Punkte
Diese Zusammenfassung enthält nur die notwendigsten Grundkenntnisse zur Erstellung einer Harris Matrix. Für Anwendungen auf einer Grabung ist das intensive Studium des oben angegebenen Werkes dringend anzuraten. Ungenügendes Verständnis der theoretischen Grundlagen kann zu einem Desaster bei der Erstellung der Matrix führen. Beispiele dafür sind in der archäologischen Forschung Österreichs leider schon vorhanden.
Die archäologische Stratigraphie (Beschreibung einer Schichtenfolge) beruht auf einer Reihe fundamentaler Axiome oder Gesetze. Alle archäologischen Fundstellen zeigen eine Stratigraphie. Gesetzmäßigkeiten der Stratigraphie wurden ursprünglich von der Geologie übernommen, entsprechen aber nicht den archäologischen Grundbedingungen. Archäologische Schichten sind meist nicht verfestigt, von begrenzter Ausdehnung und unterschiedlichster Zusammensetzung.
Harris schlägt vier wesentliche Gesetze für die archäologische Stratigraphie vor:
Law of Superposition: In einer ursprünglichen Abfolge von Schichten und Interfaces sind die oberen jünger und die unteren älter, wobei sie durch Ablagerung oder das Entfernen einer bereits bestehenden Stratifikation entstanden sind.
Die Festlegung der Superpositionen ist der erste Schritt in der archäologischen Stratigraphie. Superpositionen definieren die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Stratifikationseinheiten. Die stratigraphische Sequenz einer Fundstelle wird durch Analyse der physikalischen Zusammenhänge der einzelnen Stratifikationseinheiten und nicht durch ihre Zusammensetzung oder der darin enthaltenen Fundstücke bestimmt.
In der archäologischen Stratigraphie müssen auch die sogenannten Interfaces oder Schnittflächen als eigene Einheiten der Stratifikation im Rahmen der Superposition gesehen werden. Interfaces sind keine Schichten im eigentlichen Sinn. Sie existieren physikalisch nicht. Sie können als abstrakte Schichten gesehen werden. Sie sind Beziehungen zu Schichten, die über oder unter ihnen liegen oder durch die sie hindurchschneiden.
Law of Original Horizontality: Jede in unverfestigter Form abgelagerte archäologische Schicht tendiert dazu, sich horizontal abzulagern. Schichten mit geneigten Oberflächen wurden so abgelagert oder sind in Verbindung mit einer eingesenkten Ablagerungsfläche entstanden.
Bei Schichten, die nicht horizontal angeordnet sind, sind meistens entsprechende Interfaces zu definieren, die die Ursache für eine andersgeartete Schichtoberfläche darstellen. z.B. ein Graben, eine Grube, eine Mauer etc.
Law of Original Continuity: Jede ursprüngliche archäologische Ablagerung ist in ihrem Originalzustand durch die Einsenkung, in die sie abgelagert ist, begrenzt oder dünnt in alle Richtungen aus. Ist dies nicht der Fall, so wurde ein Teil der ursprünglichen Schicht durch Abgraben oder Erosion zerstört. Ihre Fortsetzung muss gesucht oder ihre Abwesenheit erklärt werden.
Dieses Gesetz ist in engem Zusammenhang mit der Definition von Interfaces zu sehen.
Law of Stratigraphical Succession: Eine archäologische Stratifikationseinheit einer Fundstelle nimmt ihren Platz innerhalb der stratigrafischen Sequenz an folgender Stelle ein: unterhalb der untersten Einheit, die sich über ihr befinden und oberhalb der obersten Einheit, die sich unter ihr befinden und mit denen sie physikalischen Kontakt hat. Alle weiteren Superpositionen sind redundant.
Es ist mittlerweile ein von der Forschung
akzeptiertes Faktum, dass die Harris Matrix eine Methode darstellt, um eine
stratigraphische Sequenz in einfacher Form als Diagramm darzustellen.
Die Harris Matrix ist ein Diagramm zur Darstellung einer
stratigrafischen Sequenz. Eine stratigraphische Sequenz ist definiert als die
Abfolge der Ablagerung von Schichten oder der Erzeugung von Interfaces im
Ablauf der Zeit auf einer archäologischen Fundstelle. Eine stratigraphische
Sequenz wird durch die Interpretation der Stratifikation der Fundstelle in
Übereinstimmung mit den ersten drei angegebenen Gesetzen festgelegt. Die dabei
festgestellten stratigrafischen Beziehungen werden in Übereinstimmung mit dem
vierten Gesetz in eine stratigraphische Sequenz in Diagrammform übersetzt.
Die Matrix besteht aus einzelnen Stratifikationseinheiten, die mit einander in Beziehung gebracht werden.
Es treten nur drei mögliche Beziehungen auf:
· Zwei Stratifikationseinheiten besitzen keine
stratigrafische (physikalische) Beziehung. "Sie berühren sich nicht".
· Zwei Stratifikationseinheiten sind in
Superposition. "Sie berühren sich".
· Zwei Stratifikationseinheiten korrelieren in
Form einer ehemals durchgehenden Einheit. "Sie berühren sich nicht, sind
aber das gleiche"
Ziel der Stratifikationsanalyse ist es, die
Stratifikationseinheiten in ihre relative, sequentielle Reihenfolge zu bringen.
Die stratigraphische Sequenz kann und muss ohne Berücksichtigung der Funde
erstellt werden. Dennoch muss man dann in einer Art Synthese die Straten mit den Funden zusammen auswerten.
Von mir wird ein Programm mit Namen Harris entwickelt. Mehr zu diesem in Entwicklung befindlichen Programm ist hier zu finden. Es soll vor allem auch bei der Auswertung von Gräberfeldern einsetzbar sein, die noch zu "normalen" Harrismatrix zusätzliche Informationen liefern.
In der folgenden Tabelle zeige ich Beispiele der Beziehungen, die es zwischen Gräbern geben kann. Beziehungen kann es nur geben, wenn sich die Grabgruben überlagern, also in Superposition liegen. Im Programm Harris werden diese Beziehungen automatisch über den Gräberfeldplan überprüft, ob die beiden Gräber überhaupt in der Nähe liegen. Tatsächlich konnten so einige Fehler im Katalog von Altenerding festgestellt werden.
Grab 1 ist das in der Tabelle links angeführte Grab, Grab 2 das rechts angeführte. Dazwischen steht die Beziehung. Die Beziehungen geben uns dann Auskunft, welches Grab das ältere ist. Eine Beziehung "beraubt" oder "beraubt von" ist eine genauso starke Information wie "gestört von" oder "stört". Gleiche Bedeutung für die Chronologie haben die Angaben "über" oder "unter", mit dem Unterschied, dass entweder die Totengräber des jüngeren Grabes keinerlei Information von dem tiefer liegenden älteren hatten oder aus Gründen der Pietät ein Eingriff vermieden und/oder Abstand gewahrt wurde.
Wenn in der Spalte Alter1 1 steht, so ist Grab 1 das ältere und damit automatisch in Spalte Alter2 2 das jüngere Grab und umgekehrt.
Eine Beziehung wie "grenzt" zeigt, dass die Gräber eine gemeinsame Grenze haben. Das deutet auf eine Anlage des jüngeren Grabes hin, als die Grenze des älteren Grabes noch sichtbar war. Somit ergibt sich für aneinander grenzende Gräber eine angenommene Gleichzeitigkeit. Ähnlich verhält es sich für die Informationen "langparallel", also mit parallelen Langseiten der Grabgruben und "schmalparallel", also mit parallelen Schmalseiten. Eine ähnliche auf Zeitgleichheit hindeutende Information benachbarter Gräber kann sein, wenn sie gleich tief eingegraben wurden. Da waren offensichtlich beide Grabgruben zu gleichen Zeit offen. Selbstverständlich können diese Anordnungen aber auch zufällig zu verschiedenen Zeiten erfolgt sein.
Die schwächste Information "unklar" deutet auf ein Aneinandergrenzen hin, ohne dass jedoch bei der Grabung der Grubenverlauf oder die Art der Überschneidung feststellbar war.
Die stärkste Information liegt beim Vorhandensein von Särgen im unteren Grab vor, wenn das obere Grab nach dem Verrotten des unteren Sarges in das untere eingebrochen ist. Manchmal lassen sich nur so die Höhenunterschiede in einem Grab erklären. Die Aussage "Sarg vor (Sarg vor Anlage des oberen Grabes eingebrochen)" oder "Sarg nach(Sarg nach Grablege darüber eingebrochen)" ist deshalb die stärkste Aussage, weil der Zeitraum zum Verrotten eines Sarges auf einen zeitlichen Abstand zwischen der Anlage der überlagernden Gräber von maximal 10-20 Jahren, je nach Bodenverhältnissen geschätzt werden kann. Im Falle von „Sarg vor“ ist der zeitliche Abstand zwischen den Gräbern mehr als 10-20 Jahre, wahrscheinlich aber länger. Im Falle „Sarg nach“ ist das spätere Grab eingebrochen und der zeitliche Abstand beträgt maximal 10-20 Jahre.
Alle im Katalog von Altenerding vorliegenden Beziehungen werden nun vor Erstellung einer Harrismatrix der Gräbergruppen von Harris automatisch auf Widersprüche untersucht. Die Widersprüche müssen dann einzeln überprüft und fragliche Beziehungen ausgeschieden werden. Widersprüche können sich nicht nur in der Stratigrafie oder in der Lage im Gräberfeld (siehe oben) sondern auch aus den Tiefenangaben der Gräber ergeben. Nehmen wir einfach die Beziehung "165 über 171" aus untenstehender Tabelle. Liegen z. B. folgende Tiefenangaben vor für Grab 165 2,00m, für Grab 171 1,50m, dann ist diese Beziehung auszuscheiden, da 165 eigentlich unter 171 liegt.
Alter 1 |
Grab
1 |
Beziehung |
Grab 2 |
Alter 2 |
Abstand
[a] |
2 |
548 |
beraubt |
560 |
1 |
|
1 |
256 |
beraubt
von |
257 |
2 |
|
= |
1223 |
Doppel |
1241 |
= |
|
1 |
177 |
gestört
von |
182 |
2 |
|
2 |
20 |
stört |
511 |
1 |
|
= |
204 |
grenzt |
205 |
= |
|
= |
893 |
langparallel |
896 |
= |
|
= |
635 |
schmalparallel |
653 |
= |
|
= |
341 |
gleich
tief |
355 |
= |
|
2 |
165 |
über |
171 |
1 |
|
? |
15 |
unklar |
25 |
? |
|
1 |
236 |
unter |
239 |
2 |
|
1 |
34 |
Sarg
vor |
36 |
2 |
< -20 |
2 |
324 |
Sarg
nach |
325 |
1 |
<+20 |
Dabei ist es interessant, nach Erstellung der Harrismatrix für die zusammenhängenden Gräberfeldgruppen das Fundmaterial bzw. seine zeitliche Stellung mit der Position in der Harrismatrix zu vergleichen. Dabei zeigt sich öfter eine "Umkehrung" der Stratigrafie. D.h. in oberen Gräbern befindet sich älteres Fundmaterial als in unteren. Bedeutet das nun, dass die Harrismatrix falsch ist? Oder ist die Chronologie falsch?
Beides muss nicht sein, denn es gibt eine Erklärung. Wichtigster Anhaltspunkt für diese Erklärung ist das Sterbealter der untersuchten Personen.
Nehmen wir folgendes Beispiel an: Wir haben zwei überlagerte Frauengräber mit Fibeln. Im unteren haben wir eine Fibel vom Typ "Langquaid", nach Herbert Kühn datiert sie zwischen 600-650. Im oberen eine Fibel von Typ Nordendorf, sie datiert von 550-600. Die Frau in der unteren Bestattung starb mit 20 Jahren, die Frau in der oberen mit 70 Jahren, sie war vielleicht die Großmutter der unter ihr bestatteten Enkelin. Damit kann die "Umkehrung" der Stratigrafie erklärt werden. Andererseits zeigt dieses Beispiel, dass die Frauen Fibeln ein Leben lang getragen haben und nicht wie manche meinen, altersspezifische Ausstattungen vorliegen. Nehmen wir nun an, das obere Grab wurde unmittelbar nach dem unteren Grab angelegt, die Grablege also etwa zeitgleich erfolgte. Dann gibt uns die Differenz der Sterbealter von 50 Jahren den zeitlichen Abstand zwischen den beiden Fibelmoden.
Diese Informationen wurden bisher noch nicht quantitativ ausgewertet. Es sollte zu einer Verbesserung der Absolutchronologien beitragen können. Das war ein schönes Thema für eine Diplomarbeit, die im WS 2013/2014 in München durchgeführt wurde. Leider gibt es kein anderes merowingerzeitliches Gräberfeld mit derart vielen Superpositionen wie in Altenerding.
letzte Bearbeitung 2.12.2019