Ethnische Gruppen im Awarenreich

Die Korrespondenzanalyse setzt sich zum Ziel, die Vergesellschaftung wesentlicher Gefäß-, Schmuck- und Waffenformen zu erfassen und daraus auf charakteristische Merkmale von bestatteten Personengruppen zu schließen. Die funktionellen Typen sind eine Vereinfachung oder besser gesagt eine Zusammenfassung der Typologie, die für die Berechnung der Chronologie verwendet wird. Typenbildendes Merkmal ist lediglich die Funktion eines Gegenstandes oder mit anderen Worten, wofür er verwendet wurde.

Die beste Auftrennung des Fundmaterials für „ethnische Fragestellungen“ erhält man, wenn man von den funktionellen Typen ausgeht. Diese werden erhalten, wenn man den Typ01 der Bilddatenbank Montelius auswählt. Von Hand wurden dann noch zahlreiche Korrekturen vorgenommen, wenn das „ethnische“ Merkmal tiefer in der typologischen Hierarchie versteckt war. Z. B. bei den Lanzen wurde statt dessen deren ethnisch zu differenzierende Untertypen Spieß, blattförmige Lanze und Flügellanze genommen.

 

Diese Daten wurden dann mittels WinSerion einer Korrespondenzanalyse unterworfen. Merkmale, die häufiger als 1000x vorkommen wurden eliminiert. Merkmale ohne jede Relevanz wurden excludiert.

 

Die Plots in Abb.1-3 zeigen zunächst das Resultat der Korrespondenzanalyse bezüglich der Typen sowohl in Männer- als auch Frauengräbern.

 

 

 

Markieren wir nun die Mäner- und Frauengräber.

 

 

Markieren wir nun innerhalb der Männergräber die unterschiedlichen Gruppen:

Folgende Cluster lassen sich unterscheiden, mit den relevantesten funktionellen Typen:

Zunächst aus Männergräbern:

Cluster01: Köcherbeschlag, Bogenbeschlag, Münze=Obolos, Zopfspange, (Ohrringe in Männergräbern)

Cluster02: Beutelverschluss, Saugstutzen, T-Beschlag, Knotenlöser, Säbel, Panzer, Schwert

Cluster03: Spatha, (Sax), Pinzette, Schild, Helm, Gürtelheften

Cluster04: Pflugschar, Sense, Meißel, Sichel, Hufeisen,

Cluster05: ZaumLS, Riemenanhänger, Stirnbuschhalter, Phalere, Stirnbeschlag, (Steigbügel, Trense)

Cluster06: Schmiedegerät, Amboss, Feile

Dann aus Frauengräbern:

Cluster07: „Slawische Bügelfibel“, Spiralanhänger, Gewicht, Waage,  Schlüssel, Stuhl, Kamm, Schlüssel

Cluster08: Hackmesser, Germanische Bügelfibel, Wadenbindengarnitur, Kreuz, Kästchenbeschlag, zahnschnittverzierte Schnalle, Anhänger

Cluster09: Zahnschnittverzierte Riemenzunge, T-Beschlag, HRB, Armreif, Gehänge

Cluster09: Haarschmuck, Diadem

Cluster10: Spiralohrringe

Versuch einer ethnischen Zuordnung der Cluster

 

Gruppe/Ethnos

Männer

Frauen

Pferde

Awaren

Cluster01,

Cluster02

Cluster09 (?)

Cluster05 (?)

Germanen

Cluster03,

Cluster08

Cluster08,

Cluster09

 

Slawen?

 

Cluster10

 

Byzantinisch

 

Cluster07

 

 

Cluster 06 umfasst Grob- und Feinschmiedewerkzeuge, kann also den Goldschmiedegräbern zugeordnet werden. Die Nähe sowohl zum germanischen Cluster03 als auch zum byzantinischen Cluster07 legt die Vermutung nahe, dass in den Schmiedegräbern Vertreter beider Ethnika anzutreffen sind.

Cluster04 umfasst Eisengeräte der Landwirtschaft, die kaum in Gräbern, wohl aber in entsprechenden Depotfunden aufgetreten sind.

Die „slawische“ Bügelfibel nach Joachim Werner (Joachim Werner 1950)  ist im Cluster07 positioniert und also eher mit byzantinischen Gegenständen assoziiert als mit slawischen.

Das slawische Ethnikum, das sicher vorhanden sein muss, lässt sich bis jetzt archäologisch kaum nachweisen. Denn die Spiralohrringe könnten einfach auch nur eine chronologische Erscheinung am Ende der Awarenzeit sein, die sich dann im 9. Jh. in den „slawischen“ Gräbern fortsetzt. Dennoch glauben wir, dass dadurch zumindest ein Teil der slawischen Population erfasst werden kann.

Ebenfalls für die ethnische Zuordung wären sicherlich die Bestattungssitten interessant, vor allem die Sonderformen wie Stollen- und Nischengräber. Diese wurden jedoch bisher in der Datenbank noch nicht systematisch erfasst. Erst diese Analysen würden zeigen, ob vielleicht die Stollengräber eine weitere awarenzeitliche Volksgruppe der so genannten osteuropäischen Reiternomaden oder auch Kutriguren  herauskristallisieren könnten.

Cluster03,08 und 09, die den Germanen zugeordnet werden können leiten über zum folgenden Abschnitt:

Das germanische Substrat

Lange Zeit war es in der ungarischen Forschung zur Awarenzeit und damit auch bis auf wenige andere Ausnahmen üblich, das Vorhandensein germanischer Gruppen im awarischen Milieu zu negieren, mit der Begründung, dass 568, beim Abzug der Langobarden nach Italien, alle Germanen mitgewandert seien, und ein mehr oder leeres Pannonien zurückließen. Da aber das Fundmaterial anderes aussagt, wurde angenommen, dass die an der Theiß ansässigen Gepiden, nach ihrer Unterwerfung durch die Awaren, zwangsweise nach Pannonien umgesiedelt wurden. (Attila Kiss 1996)

Inzwischen haben sich die Neufunde derartig gehäuft, dass diese Problematik in einem anderen Licht gesehen werden muss. Die Ausgrabung großer Gräberfelder in Környe, Kölked-Feketekapu A und B, in Zamárdi und Budapest-Budakallász haben gezeigt, dass offensichtlich nach 568 zumindest punktuell in Pannonien mit einer germanischen Population gerechnet werden muss, die umfangreicher war als die awarische und offensichtlich sehr gute Kontakte zum merowingerzeitlichen Westen gehabt hat. In Kölked-Feketekapu A zeigt sich, dass zunächst ein rein germanisches Gräberfeld angelegt wurde, das etwa um 568 n. Chr. beginnen könnte. Im Randbereich, also in der Phase einer fortgeschrittenen Belegung, wurde ein "Awarischer Statthalter" mit Frau und Kind bestattet. In dieser ersten Phase also, bis etwa 580/590 stellte also jener vornehme Aware die einzige Verbindung dieser Siedlungsgemeinschaft mit der Avaria dar. Erst danach wurde auch eine awarische Population angesiedelt, sie legte ein zweites Gräberfeld in unmittelbarer Nähe an. Ab dieser Zeit ist wohl auch mit einer Assimilation und Vermischung der beiden Volksgruppen zu rechnen. Das zweite Gräberfeld endet wohl im 7.Jh.s, wodurch die kontinuierliche Belegung abreißt. Erst im 8. Jahrhundert werden dann Mitglieder einer Bevölkerung bestattet, in der das germanische Element fast komplett verschwunden ist, in einer großräumig relativ einheitlich wirkenden Kultur, die man im allgemein als spätawarisch bezeichnet.

Nun wodurch unterscheiden sich in der Frühawarenzeit die germanischen von den awarischen Gräbern? In erster Linie durch Tracht und Bewaffnung: Kamm, Gürtelgarnituren mit Zahnschnitt, Spatha, Schild, Sax etc. sind unter anderem kennzeichnend für die Germanen. Goldene Ohrringe, einschneidige oder zweischneidige Langschwerter mit P-förmigen Ösen sind für die Awaren kennzeichnend.

Welcher Herkunft dieses germanische Ethnikum ist, kann nicht einfach beantwortet werden. Es ist keineswegs sicher, dass es sich um eine homogene Gruppe handelt. Theoretisch gibt es mehrere Möglichkeiten:

Derzeit wird in Zamárdi am Plattensee das größte bisher bekannte awarenzeitliche Gräberfeld ausgegraben, man schätzt die Anzahl der dort Bestatteten auf 6000! Die Besonderheit dieses Gräberfeldes ist, trotz weitgehender Beraubung, der Reichtum der dort vorgefundenen goldenen und silbernen Gürtelbestandteile aus den frühawarenzeitlichen Gräbern. Dieser Reichtum und auch die Größe des Gräberfeldes haben István Bóna dazu veranlasst, anzunehmen, dass sich dort ein awarisches Ordu (also ein Herrschaftszentrum) befunden hätte. Dagegen jedoch spricht die Tatsache, dass die reichen Gürtelgarnituren fast ausschließlich mit Zahnschnittornament verziert sind. Somit scheint dort also eine große germanische Gemeinschaft existiert zu haben, die in der Frühawarenzeit am Goldreichtum der Awaren Anteil hat, was sicherlich auf die Teilnahme bei den awarischen Feldzügen zurückzuführen ist.

Um das germanische Element geographisch darzustellen, habe ich zwei Kartierungen ausgewählt, die hier stellvertretend für das germanische Ethnikum sein sollen. Die Karte zeigt die Verbreitung der Gegenstände mit Zahnschnittornament, es handelt sich dabei vor allem um Gürtelbeschläge, also Haupt- und Nebenriemenzungen, Schnallen, aber auch anderen Metallobjekten. Der Zahnschnitt selbst wird als Weiterentwicklung des germanischen Tierstils II betrachtet und dürfte sich, wie die Verbreitungskarte zeigt, erst nach dem Abzug der Langobarden, also nach 568 im pannonischen Raum, vor allem im Gebiet um den Plattensee herausgebildet haben.

In dieser Karte wird die Verbreitung einer Beigabensitte dokumentiert, nämlich die Deponierung des Kammes im Grab. Die Untersuchungen am Gräberfeld von Kölked Feketekapu A haben ergeben, daß die Kämme entweder in Trachtlage, als Steckkämme links oder rechts hinter dem Kopf, sowohl bei Männern als auch bei Frauen, oder neben den Toten beigegeben wurden. Hier ergibt sich eine ähnliche geographische Verteilung wie beim Zahnschnitt, nur daß die Schwerpunkte anders gesetzt sind. Aufgrund des derzeitigen Forschungsstandes scheint hier vor allem das Gräberfeld von Kölked Feketekapu A mit mehr als 95 Kammbeigaben die Hauptrolle zu spielen. Kamm und Zahnschnitt kommen vor allem in den Gebieten vor, in denen vor 568 bereits Langobarden und Gepiden ansässig waren. Eine ähnliche Verbreitung zeigt auch der von Gábor Kiss untersuchte Ohrringtyp.

Neben diesem germanischem Substrat muß ab der Frühawarenzeit auch noch mit anderen Volksgruppen gerechnet werden, die regional unterschiedlich verbreitet waren, von denen hier nur einige aufgezählt werden sollen:

letzte Bearbeitung 05.10.2017