Gender-Studies und Ethnizität?
Bei der Korrespondenzanalyse
zur Ermittlung einer Chronologie geht man von den feinchronologisch definierten
archäologischen Typen aus. Dabei wird jeder funktionelle Typ – wozu etwas
gedient hat – in eine größere Anzahl von Untertypen aufgeteilt, die nun in
einer typologischen Reihe aufgestellt werden können, aber nicht müssen. Das
Ergebnis ist eine mehr oder weniger parabelförmige Anordnung der Fundkomplexe
und der Typen, die dann chronologisch interpretiert werden können.
Die Korrespondenzanalyse kann sich darüber hinaus zum Ziel setzen, die Vergesellschaftung wesentlicher Gefäß-, Schmuck- und Waffenformen etc. zu erfassen und daraus auf charakteristische Merkmale von bestatteten Personengruppen zu schließen. Die funktionellen Typen sind eine Vereinfachung oder besser gesagt eine Zusammenfassung der Typologie, die für die Berechnung der Chronologie verwendet wird. Typenbildendes Merkmal ist lediglich die Funktion eines Gegenstandes oder mit anderen Worten, wofür er verwendet wurde.
Primäres Ergebnis ist die Auftrennung nach Geschlechtern, wobei vor allem geschlechtsspezifische Beigaben zum Tragen kommen.
Hierzu zeige ich Beispiele aus dem bereits erschienenen Buch über Bischofshofen Pestfriedhof von Andreas Lippert und Peter Stadler.
Bei Verwendung der Information zu diesen Funktionen auf der einen Seite und der geschlossenen Fundkomplexe auf der anderen Seite ordnet die Korrespondenzanalyse die verbleibenden Merkmale und Komplexe zumeist nicht in Form einer Parabel, wie sie im optimalen Fall bei der Ermittlung einer Chronologie im Raum der beiden ersten Faktoren zu erwarten wäre, sondern in Gestalt einer Verteilung im gesamten Raum. Bei dieser Verteilung fallen Agglomerationen sowohl von Merkmalen/Funktionen als auch der Fundkomplexe auf. Ich zeige dazu zwei Ausdrucke.
In der ersten Abbildung sieht man bereits das Ergebnis unseres weiteren Zuordnungsprozesses. Es sind die verschiedenen Fundkomplexe von Bischofshofen Pestfriedhof als Dreiecke dargestellt. Je größer ein Dreieck ist, desto mehr unterschiedliche Funktionen von Gegenständen sind im Fundkomplex erhalten. Je näher zwei Fundkomplexdreiecke beieinander liegen, desto mehr Gegenstände können sie gemeinsam haben. Insgesamt sind 123 Fundkomplexe in dem Diagramm präsent, unter der Verwendung von 34 funktionellen Typen. Unterhalb des Diagramms wird in der Legende eine Aufteilung nach den Geschlechtsbestimmungen, soweit möglich, angezeigt, die auch für das Diagramm selbst benutzt wird. In verschiedenen Grünfarben werden die Gräber erwachsener Frauen, aber auch weibliche Kindergräber der Stufen infans I und II angezeigt. In Rot werden (erwachsene) Männer dargestellt, in Blau Kinder der Stufe infans I und in Gelb der Stufe infans II, die geschlechtlich nicht zugeordnet werden können. Diese am Leichenbrand anthropologisch bestimmte Geschlechtsbestimmung lässt sich nur für einen geringen Teil der Gräber festlegen. Die anthropologisch und archäologisch unbestimmbaren Gräber sind in Weiß geplottet. Jeweils in der Nähe der Symbole, meisten rechts davon, sind die Grabnummern mit den jeweiligen Geschlechtsangaben ausgedruckt.
Ebenfalls in dieser Abbildung lässt sich nun erkennen, dass die roten Männergräber hauptsächlich in der linken Abbildungshälfte angeordnet werden. Umgekehrt befinden sich die grünen Kinder- und Erwachsenengräber von Frauen in der rechten Bildhälfte und zwar in einer Gruppierung, die viel geschlossener ausfällt als bei den Männern. Dazwischen befinden sich nun unbestimmte Gräber, weiß dargestellt, die aufgrund ihrer Lage zum Großteil im linken Bildbereich wohl Männern zugeschrieben werden können. Wenige weiße Dreiecke im rechten Bildteil stammen wohl von anthropologisch nicht bestimmbaren Frauen. Mitten unter den Signaturen von Frauenbestattungen liegen auch vereinzelt solche von einer Infans I – Bestattung (Gr. 429) und von Infans II – Bestattungen (Gr. 512, 528). Es handelt sich, auch nach der Ausstattung mit Ring- bzw. Fibelschmuck zu schließen, um Mädchenbestattungen.
In der nächsten Abbildung wird das Netzwerk an Beziehungen zwischen den Fundkomplexen dargestellt. Hier werden nun im Gegensatz zur Netzwerkdarstellung bei der ANN1 und ANN2 alle Beziehungen gezeigt, nicht nur die der N Nächsten Nachbarn. Die große Anzahl von Beziehungen im den Frauenkomplexen zugeordneten rechten Teil des Diagramms ergibt das fast komplett – durch die Beziehungen - schwarz eingefärbte Bild. Hier wird offensichtlich, dass die Frauenkomplexe offensichtlich viel mehr funktionelle Typen besitzen als die Männergräber links, wo das Netzwerk aufgrund der geringeren Anzahl an Beziehungen ausdünnt. Einerseits sieht man, dass Männer- und Frauengräber untereinander Beziehungen haben, andererseits werden doch Männer- und Frauengräber deutlich voneinander abgesetzt angeordnet. Dadurch ist es teilweise möglich, die einem Geschlecht nicht zugeordneten weißen Dreiecke ebenfalls zu bestimmen.
Somit bietet diese Korrespondenzanalyse der funktionellen Typen eine Möglichkeit, einige Gräber (in der Korrespondenzanalyse) geschlechtlich zuzuordnen.
Ein ähnliches Bild erhalten wir in der nächsten Grafik in Abb. 36. Hier sind die verschiedenen Funktionen im Fundmaterial von Bischofshofen Pestfriedhof als Dreiecke dargestellt. Je größer ein Dreieck ist, desto häufiger ist ein Gegenstand mit der zugehörigen Funktion im Datensatz vorhanden. Je näher zwei Funktionsdreiecke beieinander liegen, desto häufiger ist ihr gemeinsames Auftreten. Außerdem wird für jeden funktionellen Typ ein Geschlechtskoeffizient berechnet, der dann für die Farbschattierungen entsprechend der Legende in der Grafik eingesetzt wird. Somit sieht man, dass wie bei den Fundkomplexen selbst, in der linken Bildhälfte Funktionen zu liegen kommen, die häufiger in Männergräbern auftreten. Insgesamt sind das nur wenige Funktionen. Auf der rechten Bildhälfte sieht man eine wesentlich größere Anzahl von Funktionen aus Frauengräbern. Im Einzelnen finden wir in Männergräbern ausschließlich nur folgende Funktionen: Waffen, alpine 2 Knopffibeln, Gürtel_30, Anhänger_0040 sowie Messer_0010. Mehrkopfnadeln sowie Großgefäße00010 kommen mehrheitlich in Männergräbern vor.
Dazwischen befinden sich Funktionen, die sowohl in Männer- als auch in Frauengräbern auftreten können, in einem ausgewogenen Verhältnis, wobei sie entweder gleichberechtigt in Männer- und Frauengräbern auftreten und/oder auch in nur undefinierbaren Gräbern vorkommen. Viel häufiger sind dagegen Funktionen in Frauengräbern:
Im rechten Feld des Diagrammes auf Abb.36 zeichnet sich eine Gruppe dicht beieinander liegender Schmuck- und Geräteformen ab. Unter diesen kommen eindeutig weibliche Attribute, wie Spinnwirtel und Bogenfibel, Kahnfibeln und Armringe vor. Weiters gehören Nähnadeln, Gürtelhaken, Glasperlen, Bronzeblechgefäße und Astragali dieser Gruppe an.
In Abb. 37 zeigen wir nun die gleiche Darstellung wie in Abb. 36, jedoch auch inklusive aller Beziehungen zwischen den funktionellen Typen. Ähnlich wie bei der gleichen Darstellung in Abb. 35 bezüglich der Fundkomplexe, kann hier eine Verdichtung der Beziehungen im rechten Bildabschnitt festgestellt werden, der den weiblichen Funktionen entspricht. Links, im Bereich der männlichen funktionellen Typen ist das Netzwerk geradezu ausgedünnt.
Im Folgenden konnte ich unter Einsatz der gleichen Methodik mit dem awarenzeitlichen Fundmaterial des Karpatenbeckens zunächst eine Aufteilung in Männer- und Frauenfunktionen unterscheiden.[1] Darüber hinaus war es möglich innerhalb der Männer- und Frauengräber weitere archäologische Gruppen zu finden. Entgegen dem (ideologisch-politisch) vorgegebenen Trend in der Frühgeschichtsforschung war es auch möglich, diese archäologischen Gruppen mit ethnischen Gruppen gleichzusetzen, die uns von den Geschichtsschreibern überliefert sind.
[1] Siehe zuletzt Peter Stadler 2008, Ethnische Verhältnisse im Karpatenbecken und Beziehungen zum Westen zur Zeit des Awarischen Khaganats im 6. und 7. Jahrhundert. Herausgeber Jan Bemmann und Michael Schmauder, Kulturwandel in Mitteleuropa. Langobarden, Awaren, Slawen. Kolloquien zur Vor- und Frühgeschichte 11, 657-678.
Diese Daten wurden dann mittels WinSerion einer Korrespondenzanalyse unterworfen. Merkmale, die häufiger als 1000x vorkommen, wurden eliminiert. Merkmale ohne jede Relevanz wurden exkludiert.
Die beste Auftrennung des Fundmaterials für „ethnische Fragestellungen“ erhält man, wenn man von den funktionellen Typen ausgeht. Diese werden erhalten, wenn man den Typ01 der Bilddatenbank Montelius auswählt. Von Hand wurden dann noch zahlreiche Korrekturen vorgenommen, wenn das „ethnische“ Merkmal tiefer in der typologischen Hierarchie versteckt war. Z. B. bei den Lanzen wurde stattdessen deren ethnisch zu differenzierende Untertypen Spieß, blattförmige Lanze und Flügellanze genommen.
Die Plots in Abb.1-3 zeigen zunächst das Resultat der Korrespondenzanalyse bezüglich der Typen sowohl in Männer- als auch Frauengräbern.
Markieren wir nun die Männer- und Frauengräber.
Markieren wir nun innerhalb der Männergräber die unterschiedlichen Gruppen:
Folgende Cluster lassen sich unterscheiden, mit den relevantesten funktionellen Typen:
Zunächst aus Männergräbern:
Cluster01: Köcherbeschlag, Bogenbeschlag, Münze=Obolos, Zopfspange, (Ohrringe in Männergräbern)
Cluster02: Beutelverschluss, Saugstutzen, T-Beschlag, Knotenlöser, Säbel, Panzer, Schwert
Cluster03: Spatha, (Sax), Pinzette, Schild, Helm, Gürtelheften
Cluster04: Pflugschar, Sense, Meißel, Sichel, Hufeisen,
Cluster05: ZaumLS, Riemenanhänger, Stirnbuschhalter, Phalere, Stirnbeschlag, (Steigbügel, Trense)
Cluster06: Schmiedegerät, Amboss, Feile
Dann aus Frauengräbern:
Cluster07: „Slawische Bügelfibel“, Spiralanhänger, Gewicht, Waage, Schlüssel, Stuhl, Kamm, Schlüssel
Cluster08: Hackmesser, Germanische Bügelfibel, Wadenbindengarnitur, Kreuz, Kästchenbeschlag, zahnschnittverzierte Schnalle, Anhänger
Cluster09: Zahnschnittverzierte Riemenzunge, T-Beschlag, HRB, Armreif, Gehänge
Cluster10: Haarschmuck, Diadem
Cluster11: Spiralohrringe
Versuch einer ethnischen Zuordnung der Cluster
Gruppe/Ethnos |
Männer |
Frauen |
Pferde |
Awaren |
Cluster01, Cluster02 |
Cluster10 |
Cluster05 |
Germanen |
Cluster03, Cluster06(?) |
Cluster08, Cluster09 |
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Slawen? |
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Cluster11 |
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Byzantinisch |
Cluster06(?) |
Cluster07 |
|
Cluster 06 umfasst Grob- und Feinschmiedewerkzeuge, kann also den Goldschmiedegräbern zugeordnet werden. Die Nähe sowohl zum germanischen Cluster03 als auch zum byzantinischen Cluster07 legt die Vermutung nahe, dass in den Schmiedegräbern Vertreter beider Ethnika anzutreffen sind.
Cluster04 umfasst Eisengeräte der Landwirtschaft, die kaum in Gräbern, wohl aber in entsprechenden Depotfunden aufgetreten sind.
Die „slawische“ Bügelfibel nach Joachim Werner (Joachim Werner 1950) ist im Cluster07 positioniert und also eher mit byzantinischen Gegenständen assoziiert als mit slawischen.
Das slawische Ethnikum, das sicher vorhanden sein muss, lässt sich bis jetzt archäologisch kaum nachweisen. Denn die Spiralohrringe aus Cluster11 könnten einfach auch nur eine chronologische Erscheinung am Ende der Awarenzeit sein, die sich dann im 9. Jh. in den „slawischen“ Gräbern fortsetzt. Dennoch glauben wir, dass dadurch zumindest ein Teil der slawischen Population erfasst werden kann.
Ebenfalls für die ethnische Zuordnung wären sicherlich die Bestattungssitten interessant, vor allem die Sonderformen wie Stollen- und Nischengräber. Diese wurden jedoch bisher in der Datenbank noch nicht systematisch erfasst. Erst diese Analysen würden zeigen, ob vielleicht die Stollengräber eine weitere awarenzeitliche Volksgruppe der so genannten osteuropäischen Reiternomaden oder auch Kutriguren herauskristallisieren könnten.
Cluster03, 08 und 09, die den Germanen zugeordnet werden können leiten über zum folgenden Abschnitt:
Lange Zeit war es in der ungarischen Forschung zur Awarenzeit und damit auch bis auf wenige andere Ausnahmen üblich, das Vorhandensein germanischer Gruppen im awarischen Milieu zu negieren, mit der Begründung, dass 568, beim Abzug der Langobarden nach Italien, alle Germanen mitgewandert seien, und ein mehr oder leeres Pannonien zurückließen. Da aber das Fundmaterial anderes aussagt, wurde angenommen, dass die an der Theiß ansässigen Gepiden, nach ihrer Unterwerfung durch die Awaren, zwangsweise nach Pannonien umgesiedelt wurden. (Attila Kiss 1996)
Inzwischen haben sich die Neufunde derartig gehäuft, dass diese Problematik in einem anderen Licht gesehen werden muss. Die Ausgrabung großer Gräberfelder in Környe, Kölked-Feketekapu A und B, in Zamárdi und Budapest-Budakallász haben gezeigt, dass offensichtlich nach 568 zumindest punktuell in Pannonien mit einer germanischen Population gerechnet werden muss, die umfangreicher war als die awarische und offensichtlich sehr gute Kontakte zum merowingerzeitlichen Westen gehabt hat. In Kölked-Feketekapu A zeigt sich, dass zunächst ein rein germanisches Gräberfeld angelegt wurde, das etwa um 568 n. Chr. beginnen könnte. Im Randbereich, also in der Phase einer fortgeschrittenen Belegung, wurde ein "Awarischer Statthalter" mit Frau und Kind bestattet. In dieser ersten Phase also, bis etwa 580/590 stellte also jener vornehme Aware die einzige Verbindung dieser Siedlungsgemeinschaft mit der Avaria dar. Erst danach wurde auch eine awarische Population angesiedelt, sie legte ein zweites Gräberfeld in unmittelbarer Nähe an. Ab dieser Zeit ist wohl auch mit einer Assimilation und Vermischung der beiden Volksgruppen zu rechnen. Das zweite Gräberfeld endet wohl im 7.Jh.s, wodurch die kontinuierliche Belegung abreißt. Erst im 8. Jahrhundert werden dann Mitglieder einer Bevölkerung bestattet, in der das germanische Element fast komplett verschwunden ist, in einer großräumig relativ einheitlich wirkenden Kultur, die man im allgemein als spätawarisch bezeichnet.
Nun wodurch unterscheiden sich in der Frühawarenzeit die germanischen von den awarischen Gräbern? In erster Linie durch Tracht und Bewaffnung: Kamm, Gürtelgarnituren mit Zahnschnitt, Spatha, Schild, Sax etc. sind unter anderem kennzeichnend für die Germanen. Goldene Ohrringe, einschneidige oder zweischneidige Langschwerter mit P-förmigen Ösen sind für die Awaren charakteristisch.
Welcher Herkunft dieses germanische Ethnikum ist, kann nicht einfach beantwortet werden. Es ist keineswegs sicher, dass es sich um eine homogene Gruppe handelt. Theoretisch gibt es mehrere Möglichkeiten:
In Zamárdi am Plattensee wurde das größte bisher bekannte awarenzeitliche Gräberfeld ausgegraben, leider jedoch nicht komplett, man schätzt die Anzahl der dort Bestatteten auf 6000! Die Besonderheit dieses Gräberfeldes ist, trotz weitgehender Beraubung, der Reichtum der dort vorgefundenen goldenen und silbernen Gürtelbestandteile aus den frühawarenzeitlichen Gräbern. Dieser Reichtum und auch die Größe des Gräberfeldes haben István Bóna dazu veranlasst, anzunehmen, dass sich dort ein awarisches Ordu (also ein Herrschaftszentrum) befunden hätte. Dagegen jedoch spricht die Tatsache, dass die reichen Gürtelgarnituren fast ausschließlich mit Zahnschnittornament verziert sind. Somit scheint dort also eine große germanische Gemeinschaft existiert zu haben, die in der Frühawarenzeit am Goldreichtum der Awaren Anteil hat, was sicherlich auf die Teilnahme bei den awarischen Feldzügen zurückzuführen ist.
Neben diesem germanischen Substrat muss ab der Frühawarenzeit auch noch mit anderen Volksgruppen gerechnet werden, die regional unterschiedlich verbreitet waren, von denen hier nur einige aufgezählt werden sollen:
letzte Bearbeitung 10.12.2018