Quantitative Methoden in der Archäologie,

im engeren Sinn

Peter Stadler

Motivation zur Verwendung von Computern für archäologische Fragestellungen:

Gerade in einem „geisteswissenschaftlichen“ Fach wie der Ur- und Frühgeschichte/Archäologie war es zunächst noch notwendig, zu erklären, in welchen Bereichen und warum man Computer in der Archäologie einsetzen sollte. Trotz der Tatsache, dass heute niemand mehr ohne den Computer auskommt, wird dieser meist nur als bessere "Schreibmaschine" benutzt. Gegenüber manche Kollegen ist es deshalb immer noch notwendig, folgendermaßen zu argumentieren:

In der Archäologie sowie auch in anderen Wissenschaften führen oft ganz verschiedene Beweggründe zur Anwendung mathematischer Verfahren, deren Durchführung oft nur mittels Computer sinnvoll möglich ist:

  1. Das Material kann zwar in kleine Portionen zerlegt recht gut, auch traditionell - oft intuitiv - ausgewertet werden, bei Betrachtung des Gesamtmaterials geht jedoch bald der Überblick verloren.
  2. Die traditionell gewonnenen Resultate verschiedener Wissenschaftler widersprechen einander, hier soll durch ein objektivierbares Verfahren dem einen oder anderen Recht gegeben werden.
  3. Berechtigte Zweifel treten an der bisher erreichten Genauigkeit auf.
  4. Selbst bei einem überschaubaren Material konnten keine Resultate erhalten werden.
  5. Manche mathematische Verfahren, wie die Bayes'sche Statistik, sind, obwohl schon Jahrhunderte alt, erst jetzt aufgrund des immensen rechnerischen Aufwandes zu realisieren.
  6. Erstmals ist es nur unter Einsatz moderner Computer möglich, das gesamte Fundmaterial einer Kultur gemeinsam auszuwerten. Alle bisherigen nur an mikro-partiellen Untersuchungen gewonnenen Ergebnisse sind somit in Frage zu stellen.

Die ersten drei Gründe können bei Anwendung geeigneter Algorithmen (= mathematischer Verfahren) zu einer Verbesserung bisheriger Ergebnisse führen. Voraussetzung ist, dass zunächst der intuitive Lösungsvorgang zu einem Modell abstrahiert wird. Dieses Modell kann dann zur Strategie der Algorithmusfindung herangezogen werden.

Eine Lösung mit Hilfe der Mathematik beim Punkt 4 ist von vornherein zum Scheitern verurteilt.

Auch bei Verwendung des Computers sind also exakte Fragestellungen notwendig, auch wenn nun jedoch viel mehr Fragen gestellt und getestet werden können, von denen einige eine Antwort finden, andere jedoch nicht.

Die Aufteilung in Geistes- und Naturwissenschaften, die es vorher so nicht gegeben hat, "verdanken" wir Wilhelm Windelband  in seiner Rede zum Antritt des Rektorats der Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg gehalten am 1. Mai 1894. Gerade die Ur- und Frühgeschichte, die sich in den letzten Jahren immer mehr in Richtung zur CSI der Geschichtsforschung entwickelt, benutzt also neben der eigenen Fachmethodik naturwissenschaftlich/mathematische Methoden. Deshalb wird diese (meiner Meinung nach verzichtbare) strenge Zuordnung der Ur- und Frühgeschichte zu den Geisteswissenschaften immer mehr "aufgeweicht" und vielleicht einmal sogar rückgängig gemacht werden (müssen).

Inzwischen entwickeln sich die „Quantitativen Methoden“ zur Königsdisziplin von Ur- und Frühgeschichte und Archäologie. Nicht nur weil sie eine Auswertung aller Befunde und Funde gewähleistet, sondern weil sie dadurch auch eine Rechtfertigung für all die tausenden Grabungen anbieten, deren Zusammenschau erst jetzt langsam möglich wird, mit Aussicht auf eine mit dem Material wachsende statistische Basis für alle kulturwissenschaftlichen Aussagen.

 

letzte Bearbeitung 2.12.2019